Den Schein wahren – Facebook, iPhone, Jutebeutel
#moraldisastersofourgeneration
Facebook hat das Design der Chronik verändert. Einfach so,
von heute auf morgen. Na toll, denke ich mir und mich überfällt vom einen auf den anderen Moment ein Anflug von Wut. Ich schmeiße Google an und gebe „neues chronik design facebook“ ein. Ich lese,
was ich eigentlich schon längst sehen kann. Facebook führt ein neues Design
ein, ohne großartig jemanden zu fragen. Ich fühle mich subtil manipuliert. Nun überfällt mich die große Lust,
einen dieser Artikel auf meiner Chronik zu posten. Sowas wie „scheiß facebook“
darunter zu schreiben, denn mir gefällt weder das Design noch, dass mich
niemand gefragt hat, ob ich es haben möchte. Plötzlich wird mir bewusst, wie
verquert mein Gedankengang ist. Ich poste einen Artikel bei Facebook, um
Facebook zu kritisieren? Wir nehmen Facebook als öffentlichen Raum wahr, als Diskussionsforum.
Dabei ist das soziale Onlinenetzwerk vor allem ein Unternehmen, welches
Millionen von Dollar Umsatz jährlich einfährt. Auch wenn unsere Wahrnehmung
eine andere ist und wir stolz darauf sind, wie angeblich eine ganze Revolution
im Norden Afrikas ausgelöst wurde mithilfe unserer „Likes“, ist Facebook ein
geschlossener Raum, ein so gesehen kleiner Zirkel der Menschheit. Öffentliches
Gut wird hier genommen und eingesperrt in einem Käfig wirtschaftlicher
Interessen. Wir können Facebook munter kritisieren, aber wir haben letztlich doch
kein Recht uns zu beschweren. Das soziale Netzwerk macht die Generation „Digital
Natives“, die glaubt, mit ihren „Likes“ so viel auszurichten, die fröhlich ihre
Meinung twittert, Piraten wählt und für Internetdemokratie steht, zu Sklaven
eines moralischen Desasters, welches weit größere Ausmaße hat, als es zunächst scheint.
Da postet ein Internetaktivist eine Online-Petition zur Verhinderung der Zensur
in China. Dabei lautet doch erst einmal die Frage, inwieweit Facebook selbst
Zensur ist. Kann freie Meinungsäußerung funktionieren, wenn sie in einem nicht
öffentlichen Raum stattfindet?
"Be the change" - Ein moralisches Desaster? |
Diese Frage entfachte zuletzt der Radiomoderator
Jürgen Domian, dessen kritische Worte zur Papstwahl von Facebook entfernt
wurden. Ein Aufschrei ging durch das Netz, man witterte Zensur. Aber man
witterte falsch, denn Zensur ist definiert als politisches Instrument zur
Kontrolle der Medien und da wir in einem System leben, welches die politische
Kontrolle der Wirtschaft weitestgehend nicht zulässt, können wir uns Zensur bei
Facebook abschminken. Was unserer Generation hier fehlt, ist der Sinn für die
Realität. Wir befinden uns in einem dualistischen Konfliktfeld, welches uns
nicht nur täglich bei Facebook begegnet, sondern in allen Lebensbereichen. Wir
posten Online-Petitionen für mehr Menschenrechte mit unserem iPhone – obwohl wir
wissen, dass Apple unter teilweise menschenverachtenden Bedingungen produzieren
lässt. Wir kaufen Bio-Schinken bei Aldi – obwohl wir wissen, dass auch
Bio-Fleischproduktion den Klimawandel vorantreibt. Wir tragen unsere Jutebeutel als politisches Statement
– und lassen uns dennoch unsere Konsumgüter in Plastiktüten stecken. Wir kaufen
grün, wählen grün und essen grün. Wir versuchen ständig unser Gewissen zu
entlasten und verdrängen, dass wir im Prinzip nur den Schein einer Generation
aufrechterhalten, die so tut als würde sie etwas ändern. Wir sind weder
kompromisslos noch handeln wir konsequent. Alles was wir machen ist den Schein
wahren. Wir lassen uns entfremden und sind doch irgendwie machtlos dagegen. Wie
man es macht, man macht es falsch. Die westliche Gesellschaft steht an einem
Scheideweg: Technologie wird umweltfreundlich, Fleisch wird aus Soja
hergestellt, Energie effizienter genutzt und Autos fahren mir Biogas. Ach ja,
und Yoga kann man nun auch außerhalb von Indien machen, am besten in Berlin Kreuzberg.
Aber hier soll es nicht um Klischees gehen, nicht um Hipster und nicht um Rhabarber-Limonade.
Das ist zu klein gedacht. Es geht um die fundamentale Frage, wie wir leben
wollen. Wir als Generation, wir als Individuum. Wie können wir der zunehmenden
Entfremdung Einhalt gebieten? Innovation schön und gut, aber es geht doch immer
in eine Richtung: Das Konzept heißt immer noch Wachstum, Fortschritt, Gewinn. Wir
sollten uns in Verzicht üben, uns mehr Zeit lassen, mehr unser Gehirn
einschalten. Gerade sehe ich einen neuen Post auf Facebook: „Be the change you want to see in the
world“ steht da. Ein schöner Satz – und er wahrt so wunderbar den
Schein.
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