Donnerstag, 30. August 2012

Sawasdee Mae Sot...

...willkommen im neuen zu Hause

Blick von meiner Haustüre aus
Es sind erst drei Tage hier in meinem neuen zu Hause auf Zeit vergangen und dennoch ist schon so viel passiert, dass es sich lohnt darüber zu berichten. Am Montag bin ich nach einem holperigen Flug in einer kleinen Propellermaschine angekommen. Während des Landeanflugs kann man die wunderschöne hügelige Landschaft von Mae Sot bewundern. Zwischen die hellgrünen Reisfelder mischen sich Haine verschiedenster Fruchtbäume, Zuckerrohr, Mais und andere Kulturpflanzen. Die wolkenverhangenen Berge im Hintergrund geben der Szenerie fast etwas Magisches. Auf dem Weg zum COERR Office wirkt Mae Sot im Gegensatz zu Bangkok direkt sehr verschlafen auf mich. Im Büro angekommen werde ich wieder herzlich empfangen. Jeder Mitarbeiter stellt sich mir auf einer kleinen Führung vor, aber ich habe die Namen innerhalb kürzester Zeit wieder vergessen, denn für meine Ohren klingen sie alle gleich. Es wird wohl einige Wochen dauern, ehe ich hier alle kenne. Am späten Nachmittag geht es auf Wohnungssuche. Ich schaue mir ein Zimmer an, das mir auf Anhieb sympathisch ist und entscheide mich, dort einzuziehen. Das kleine Ameisennest am Badezimmerfenster werde ich schon in den Griff bekommen... Es folgen über eine Stunde thailändische Verhandlungskultur mit dem Vemieter per Telefon, während dessen ich mit Fragezeichen in den Augen rumstehe und ab und zu mal die Frage "What's happening?" einwerfe. Eine Antwort erhalte ich aber erst am Ende: Es geht alles klar! Worüber haben sie denn wohl so lange geredet? Den Mietvertrag machen wir irgendwann diese oder nächste Woche:  "Same, same" - kommst du heute nicht, kommst du morgen! Nach dem Einkauf der wichtigsten Haushaltsutensilien beginne ich mich einzurichten und fühle mich wohl, obwohl es alles noch etwas unbelebt wirkt. Aber mit ein paar Bildern an der Wand wird es sicherlich richtig wohnlich werden...Nur an die Geräuschkulisse werde ich mich noch gewöhnen müssen. Am Abend heulen und bellen Hunde, Insekten zirpen und das Wasser rauscht durch die Rohre in der Wand...

Always keep smiling

An den darauffolgenden Tagen bin ich nur unterwegs - vermutlich liegt es auch daran, dass es mir vorkommt als sei ich schon ewig hier. Es geht nun erstmal darum, die Arbeit im Office kennenzulernen, mich zu orientieren und meinen Platz hier zu finden. Am Morgen radle ich also mit dem Fahrrad einer Kollegin durch die Straßen von Mae Sot, immer schön konzentriert auf der linken Seite, vorbei an Suppenküchen, kleinen Shops, Obst- und Gemüseständen, Palmen und Bananensträuchern. Hunde, Mopeds, Lastwagen und viele andere Fahrradfahrer kreuzen meinen Weg zum Office, den ich zum Glück (fast) auf Anhieb finde. Die Kommunikation mit meinen Kollegen und Kolleginnen ist nicht immer einfach, da sich viele nicht trauen Englisch zu sprechen oder es schlicht und einfach nicht können. Irgendwie klappt es aber immer, Hände und Füße sind höchst aktiv dieser Tage und zur Not wird einfach immer fleißig gelächelt. Während ich die eine Hälfte des Tages mit dem Basteln großer Schilder für die Camps und witzigen Hand-Fuß-Gesprächen verbringe, beschäftige ich mich die andere Hälfte mit Nothilfeanträgen von Menschen aus den Camps und erhalte erste Eindrücke darüber, welche Schicksale die Flüchtlinge erfahren. Morgen werden sich diese Schicksale in die Realität umsetzen, wenn ich das erste Mal ins Camp fahre... 

Der Wert der Freiheit

Am Morgen meines dritten Tages in Mae Sot brechen wir schon früh ins größte Flüchtlingscamp Thailands auf: Mae La. Hier leben circa 50 000 Menschen, der Großteil gehört dem Volk der Karen an. Das Camp liegt an einem rund drei Kilometer langen Abschnitt der Straße 105, die entlang der Grenze in den Norden Thailands führt. Nach einer knappen Stunde Fahrt erreichen wir den Kontrollpunkt des thailändischen Militärs, an dem aufgenommen wird, wie viele Personen die Straße passieren. Und schließlich fällt der Blick auf das Lager: Mitten in der grünen Waldlandschaft klammern sich hunderte Hütten an die Berghänge. 
Blick auf Mae La Camp
(Quelle: http://unhcr.or.th/sites/default/files/174690.jpg)
Gemeinsam mit P'Kan, einer Sozialarbeiterin, betrete ich das Camp an einem der kontollierten Eingänge und begegne im Camp-Office von COERR den ersten Flüchtlingen. Sie gehören dem Camp-Staff an und arbeiten als Kinderbeteuer oder Social Worker, managen landwirtschaftliche Kleinprojekte oder beteuen Jugendgruppen. Das Spektrum der COERR-Projekte ist vielfältig. Ich stelle mich der kleinen Gruppe Menschen vor, die mir lächelnd und ein bisschen nervös gegenüber sitzt. P'Kan übersetzt alles in Karen für die, die kein Englisch sprechen. Während sich das Camp-Staff vorstellt, dreht sich das Ganze um: Nun sitze ich lächelnd da und höre fleißig zu, nicke einfach, obwohl ich manche englische Wörter nicht verstehe und die Namen so kompliziert sind, dass ich sie mir eh nicht merken kann. Dennoch fühle ich mich herzlichst begrüßt und freundlich aufgenommen. Einige Zeit später brechen P'Kan, drei Camp-Mitarbeiter und ich auf, um Homevisits zu machen. Dabei werden Menschen besucht, die von COERR und anderen NGOs betreut und unterstützt werden. Es geht über unbefestigte Wege durch enge Gassen vorbei an den Hütten aus Bambus und Blätterdächern immer weiter bergauf. Schon nach kurzer Zeit bin ich nass geschwitzt, denn es ist unglaublich stickig, heiß und feucht. 
Auf dem Weg zu Homevisits...
Viele der Wohnhäuser sind auf Stelzen gebaut und über eine kleine Treppe erreichbar. Überall sitzen Menschen davor, versorgen ihre Kinder, schleppen Wasser von den öffentlichen Brunnen zu ihren Häusern. Im Gegensatz zu Wasseranschlüssen, verfügen einige Häuser im Mae La Camp über einen Stromanschluss, sodass es möglich ist, Handys oder Fernseher zu haben. Über die Jahrzehnte ist eine Infrastruktur entstanden, die die Campbewohner so gut es geht versorgt. So gibt es auch kleine Shops, in denen Obst und Gemüse, einige Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände angeboten werden. Über die Bäche und Flüsse führen Brücken aus einfachen Brettern, von denen man einen Blick auf das verschmutzte Wasser und den weggespülten Müll erhaschen kann. Es ist ein komisches Gefühl als farang durch das Camp zu laufen, ich spüre die Blicke der Menschen um mich herum. In ihren Augen liegt Verwunderung und ein wenig Skepsis, aber die meisten lächeln mir scheu, aber neugierig entgegen und manchmal, wenn auch ganz selten,  trauen sie sich sogar und rufen "Hello, how are you"? oder "Good Afternoon!". Während der Homevisits werden die Schicksale, die gestern nur auf dem Papier existierten, Realität. Wir besuchen eine Familie mit einem schwer behinderten Jungen. Wir betreten das kleine Haus, das wie fast alle anderen auch, aus nur einem Raum besteht. Der Junge sitzt am Ende des Raumes auf dem Boden, er ist 17 Jahre alt und kann weder sprechen noch laufen. Vor dem Haus steht ein alter Rollstuhl, doch auf den unbefestigten Wegen ist dieser so gut wie nicht zu gebrauchen. Seine Mutter sitzt uns gegenüber, sie erzählt, dass mehrmals in der Woche Helfer einer NGO kommen, die ihren Sohn betreuen und seine Muskeln bewegen. Während ich dort auf dem Boden hocke, gibt es diesen einen Moment, in dem mir bewusst wird: "Scheiße, die kommen hier einfach nicht raus". Die meisten Menschen, die hier leben, vertrieben und geflohen aus ihrer Heimat, sind gefangen in ihrem Schicksal, ihnen bleibt keine Wahl, außer das Beste aus ihrem Leben im Camp zu machen, denn in ihre Heimat zurückzukehren ist dieser Zeit noch keine Option. Wie halten sie das aus? Gleichzeitig wird mir klar, welcher Wert hinter Freiheit steckt und dass die meisten von uns diesen Wert nicht zu schätzen wissen. Am Abend winken uns die Soldaten durch den Kontrollpunkt und wir lassen das Camp hinter uns, doch meine Gedanken kreisen weiter um das Erlebte. Heute gehen zu können ist ein Privileg, wiederkehren zu können ist ein Privileg. Ob dieses Privileg irgendwann auch den Flüchtlingen zu Teil sein wird, ist ungewiss. Als ich nach diesem Tag in mein Zimmer zurückkehre, fühle ich mich unglaublich müde. So viele Eindrücke habe ich gewonnen, einige Schicksale erfahren und nun braucht es Zeit, dies zu verarbeiten. Am Montag war meine Ankunft in Mae Sot, aber angekommen bin ich erst jetzt.



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