Freitag, 9. November 2012

2 Monate Thailand – vom Alltag, burmesischen Kochkünsten und Fahrradtouren durch alte Ruinen…



Immer positiv denken
Nach vielen Wochen Blog-Abstinenz ist es wohl langsam an der Zeit, sich nochmal mit ein paar Neuigkeiten zu melden. In manchen Momenten kann ich es nicht glauben, dass ich nun über zwei Monate hier in Mae Sot lebe. Zwei Monate, das bedeutet, an einem komischen Punkt zu stehen, an dem die Grenze zwischen Alltag und dem tollen Gefühl, dass alles so neu und anders ist, verschwimmt. Es bedeutet, dass man sich selber erlaubt, bestimmte kulturelle Aspekte schlichtweg nervig zu finden und nicht mehr den Anspruch hat, sich auf alles einzulassen. Es bedeutet Ungeduld und die Frage: „Was zum Kuckuck mache ich hier eigentlich?“. Es heißt das erste Heimweh nach Gewohnheiten von zu Hause zu haben (einen herbstlichen Apfelkuchen backen, Kastanien sammeln, Regenspaziergänge am Meer… warum beschwert ihr euch alle über den Herbst?). Aber auf der anderen Seite bedeutet es auch einen gewissen Stolz auf den „Status Alltag“ zu haben, denn das heißt auch, in der anderen Kultur angekommen zu sein, sich eventuell sogar ein Stück „integriert“ zu haben – ein großes Wort! Die letzten Wochen waren von so einigen Höhen, und Tiefen gekennzeichnet, da sich die Aufgabenfindung und die Kommunikation auf der Arbeit als komplizierter als gedacht herausgestellt haben. Wer hat aber auch behauptet, dass es einfach werden würde als Freiwillige in Thailand zu arbeiten? Ich möchte mich also gar nicht lange beschweren. Bei allen Höhen und Tiefen versuche ich einfach immer wieder das Positive in den Vordergrund zu rücken. Zum Beispiel all die Erlebnisse, die meine Freizeit hier prägen oder meinen interessanten Wohnort…

Bunte Vielfalt in Mae Sot 

Auf dem Markt
Hier in Mae Sot treffen Burma und Thailand zusammen: Die Grenznähe macht Mae Sot zu einem Einwanderungsort für Migranten aus Burma. Längst nicht alle von ihnen sind offiziell erfasst. Viele der Einwanderer leben illegal in Thailand und nutzen die Chance hier eine Arbeit zu finden oder geschützt von der politischen Situation ihres Heimatlandes zu leben. Dafür setzten sie sich aber auch der Gefahr aus, als Illegale entdeckt zu werden. Zu den Einwanderern, von denen viele einer der ethnischen Minderheiten des Vielvölkerstaats Burma angehören, kommen natürlich Thais sowie Chinesen und eine nicht unbeträchtliche Anzahl „Westler“, von denen die meisten bei den im Ort ansässigen NGOs arbeiten. Diese Mischung unterschiedlicher Kulturen prägt das Stadtbild und macht Mae Sot zu einem bunten Entdeckungsort. Die Stadt bietet auch eingeschworenen „Westlern“ ein recht annehmliches Dasein. Es gibt Coffee Shops, einen großen Tesco-Supermarkt und Dunkin Donut. Westliche Einflüsse – auch das ist Thailand. Auch wenn ein Donut von Zeit zu Zeit ein netter Genuss ist, so ist es doch vor allem spannend, das Fremde zu entdecken. Nach über zwei Monaten nimmt man die vielen Eigenarten und Besonderheiten der Stadt gar nicht mehr so richtig wahr. Überall reihen sich kleine Garküchen aneinander, durch die Straßen drängen sich Motorroller, mit Gemüse und Menschen vollgeladene Pick-Up-Trucks und Fahrräder und überall dazwischen streunen Hunde (die mich regelmäßig in den Wahnsinn treiben). Auf dem burmesischen Markt gibt es neben Schlangen, Schildkröten und Ratten natürlich die asientypischen frittierten Insekten zu erstehen. Die Marktfrauen verkaufen an ihren Ständen Berge an frischem Gemüse, Fleisch, Haushaltsgegenstände, Kosmetik, Stoffe.  Die meisten der Frauen sind aus Burma  - sie tragen lange Röcke aus bunten Stoffen und haben Thanaka auf den Wangen, eine gelbliche Paste, die vor der Sonne schützen und das Gesicht kühlen soll. Nach zwei Monaten bewegt man sich recht sicher durch das alltägliche Chaos und hat sich an die Dinge, die einen umgeben, längst gewöhnt. Es gibt viele kleine Besonderheiten, dich mich immer wieder sehr glücklich stimmen. Es sind die Begegnungen mit Menschen aus anderen Ländern, anderen Kulturen. Es sind die beiden Koreaner, die doch tatsächlich aus Gangnam kommen oder der Burmese, der eine Bar eröffnet hat.  Man begegnet sich an unterschiedlichen Orten, abends auf ein Bier oder am Samstagmorgen auf einen Kaffee – und erzählt!  Es ist Alltag, der sich aber doch jeden Tag neu definiert. 

So schmeckt Burma

Da müssen alle Hände ran - Mandalay Nudelsalat...
Mandalay Nudelsalat & Kartoffelknödel :-)
Stolz auf das Menü!
In Mae Sot kann man Burma kennenlernen, ohne über die Grenze zu gehen. Also stürzen wir uns einen Samstag lang in die burmesische Esskultur und machen einen Kochkurs. Wir werden von zwei wunderbaren Menschen, Mo Mo and Bo Bo, angeleitet, die uns in die Geheimnisse der burmesischen Küche einweisen. Nachdem wir uns aus dem kleinen Kochbuch ein Menü zusammengestellt haben, geht es zuerst einmal mit drei Körben auf den Markt zum Einkaufen. Wir haben uns für ein Kürbiscurry, gefüllte Kartoffelknödel, Mandalay Nudelsalat und einen Limetten-Basilikum-Drink entschieden. So richtig viel können wir uns darunter noch nicht vorstellen, deswegen steigt die Spannung je voller unsere Körbe werden. Die Mittagshitze auf dem Markt macht uns zu schaffen, deswegen haben wir uns eine Pause in einem der burmesischen Tea Shops wohl verdient. In Burma gibt es eine ausgeprägte Teekultur – wohl ein Überbleibsel aus englischen Kolonialzeiten. Man trinkt starken schwarzen Tee mit süßer Milch und Honig. Nach unserer kleinen Pause geht es zurück und das große Kochen beginnt. Für die nächsten zwei Stunden wird geschnibbelt und geschnitten, gedünstet und gebraten. Währenddessen lernen wir auch viele interessante Fakten über die Esskultur in Burma kennen, die sehr vielseitig ist. Im Norden Burmas ist das Essen eher durch die chinesische Küche geprägt, im  Westen findet man dagegen zum Beispiel viele indische Einflüsse. Das Volk der Karen ist vor allem für die Zubereitung von Currys bekannt. Kürbisse gibt es in Karen State (im Osten des Landes gelegen, an Thailand grenzend) im Überfluss und die Zubereitung von Curry ist sehr beliebt. Als Füllung für unsere Kartoffelknödel bereiten wir eine Masse aus Zwiebeln, Eiern, Kohl und Sojasauce zu und stopfen unsere selbstgeformten Knödel hiermit, ehe sie in heißem Öl frittiert werden. Nudeln kamen bereits im 18. Jahrhundert durch die Chinesen nach Burma. Vor allem in Regionen mit einer größeren chinesischen Population sind Nudeln sehr beliebt, allen voraus in Mandalay (der zweitgrößten Stadt Burmas, zentral in der Mitte des Landes gelegen), wo Nudeln noch traditionell aus Weizen oder Eiern hergestellt werden. Für unseren Nudelsalat verwenden wir Eiernudeln, die auf einer großen Platte mit den Händen mit vielen anderen Zutaten gemischt werden. Frittierte Tofu-Stücke, frische Sprossen, Zwiebeln, Kohl und Flaschenkürbisse werden zusammen mit Kichererbsenmehl, Koriander und Safran zu einem Salat verknetet. Basilikum gilt in Burma als sehr wertvoll für die Gesundheit und findet deswegen viel Verwendung in Gerichten. Vor allem in den städtischen Räumen in Burma erfreuen sich frisch zubereitete Kräuterdrinks großer Beliebtheit. Diesen Genuss testen wir an diesem Tag und bereiten aus Limettensaft und geschreddertem Basilikum sowie Wasser, Eis und ein wenig Zuckersirup einen erfrischenden Drink. Kochen macht Spaß, aber der viel bessere Part kommt erst danach: das Essen! Wer glaubt, die thailändische Küche sei fantastisch, der hat noch nie burmesisch gegessen. Zu Hause darf man sich bereits darauf freuen, denn dank unseres kleines Kochbüchleins werde ich auch im fernen Deutschland ein wenig burmesische Esskultur einführen können… ;-)

Sukhothai  -  Stadt der „Morgenröte der Glückseligkeit“  

Kokosnusspudding - das beste Frühstück!
Auch wenn ich meine Wochenenden in Mae Sot sehr liebe, war ich vor einigen Wochen froh, gemeinsam mit zwei amerikanischen Freundinnen das historische Sukhothai, circa 3 Stunden nord-östlich von Mae Sot gelegen, zu besuchen. Sukhothai – übersetzt Morgenröte der Glückseligkeit – ist die alte Hauptstadt des Königreiches Sukhothai und gilt als Wiege Thailands. Die Thai eroberten im Jahre 1238 eine Khmer-Siedlung, aus der das spätere Zentrum des Königreiches Sukhothai entstand, welches weite Teile des heutigen Thailand umfasste und bis ins 15. Jahrhundert hinein bestand. König Ramkhamhaeng entwickelte aus der Mon-Schrift das heutige Thai-Alphabet. Nach einer rasanten Busfahrt kommen wir spät am Abend in Sukhothai an und werden von einem freundlichen Thai auf dessen „Karren“ mit gefühltem 1PS-Motor zu unserem Gästehaus gebracht. Dort werden wir von einem älteren Herrn in einem gelben Morgenmantel und starkem italienischem Akzent empfangen. Paulo versorgt uns mit einem Zimmer und nach einem kleinen Abendbrot fallen wir auch schon in die Betten. Schließlich entdecken wir am nächsten Morgen erst die Schönheit unserer Unterkunft: Zu unserem Zimmer führt eine kleine Brücke, unter der sich Seerosen und kleine Frösche tummeln und der Weg zum Frühstück führt durch einen tropischen Garten mit bunten Vögeln und kleinen Oasen mit Hängematten und traditionell geschnitzten Sitzgelegenheiten aus Holz. Schon von weitem hören wir Paulo „Bon Giorno“ rufen und bekommen heute ein ganz besonderes Frühstück serviert: Es gibt frisch gebrühten grünen Tee, selbstgemachte Ananas-Marmelade sowie Kokosnusspudding vom lokalen Markt, der gemeinsam mit Honig und Bananen gegessen wird. Nach diesem Genuss machen wir uns auf den Weg und erkunden mit unseren Fahrrädern die Ruinen von Sukhothai. Zwischen kleinen Seen und grünen Wiesen finden sich riesige Buddha-Statuen und die Ruinen alter Tempelanlagen. Unseren Nachmittag verbringen wir anschließend an Paulo’s Pool :-). 
Mit dem Fahrrad durch die Felder

Doch am Abend brechen wir noch einmal auf und radeln in der wunderschönen Abendstimmung durch weite Reis- und Zuckerrohrfelder, zwischen denen immer wieder Reste alter Tempel auftauchen. Die Stimmung hat etwas Besinnliches und es tut gut, frische Landluft einzuatmen…ich fühle mich offiziell wie im Urlaub! Mit Untergang der Sonne entdecken wir die alten Ruinen auf’s Neue. Nun sind wir alleine mit den Buddhas, denn alle Touristen haben sich bereits zurückgezogen. Die Anlage erscheint nun für einige Stunden im Licht großer Scheinwerfer. Fast bekomme ich ein wenig Angst, denn es scheint tatsächlich so, als würde Buddha jeden Moment aus seiner tiefen Meditation erwachen… Nach unserem Abendessen (scharfe Kokosnusssuppe!) verkriechen wir uns auch schon in unsere Betten, denn am nächsten Morgen heißt es früh aufstehen, um nicht den Sonnenaufgang zu verpassen. Gegen viertel nach fünf brechen wir mit unseren Fahrrädern auf und nehmen diesmal eine weite Route, die uns zu einem Aussichtspunkt bringen soll. Wieder fahren wir durch weite Reisfelder und es wird klar, womit Sukhothai seinen Namen verdient hat. Die Morgenröte gibt den alten Ruinen etwas Magisches und spätestens nach einer Stunde Radeln mit plattem Reifen und dem Besteigen von 200 Stufen, spüre ich Glückseligkeit. Aber es lohnt sich – denn der Blick über das Plateau, welches vom Berg sichtbar ist, ist wahnsinnig schön. Besinnt kehren wir also am Sonntagnachmittag zurück nach Mae Sot, welches nun unglaublich hektisch und laut wirkt. Aber schließlich kann man nun von Reisfeldern, Buddhas und Kokosnusspudding träumen… 

Ich hoffe, ich konnte euch allen ein wenig Einblick in mein Leben hier in Thailand geben. Ich wünsche euch allen einen wunderbaren Herbst und schicke euch viele Sonnenstrahlen aus dem immer noch heißen Mae Sot. Oppan Gangnam Style! ;-) (Daran kommt man hier seit Wochen nicht vorbei…). 


Donnerstag, 30. August 2012

Sawasdee Mae Sot...

...willkommen im neuen zu Hause

Blick von meiner Haustüre aus
Es sind erst drei Tage hier in meinem neuen zu Hause auf Zeit vergangen und dennoch ist schon so viel passiert, dass es sich lohnt darüber zu berichten. Am Montag bin ich nach einem holperigen Flug in einer kleinen Propellermaschine angekommen. Während des Landeanflugs kann man die wunderschöne hügelige Landschaft von Mae Sot bewundern. Zwischen die hellgrünen Reisfelder mischen sich Haine verschiedenster Fruchtbäume, Zuckerrohr, Mais und andere Kulturpflanzen. Die wolkenverhangenen Berge im Hintergrund geben der Szenerie fast etwas Magisches. Auf dem Weg zum COERR Office wirkt Mae Sot im Gegensatz zu Bangkok direkt sehr verschlafen auf mich. Im Büro angekommen werde ich wieder herzlich empfangen. Jeder Mitarbeiter stellt sich mir auf einer kleinen Führung vor, aber ich habe die Namen innerhalb kürzester Zeit wieder vergessen, denn für meine Ohren klingen sie alle gleich. Es wird wohl einige Wochen dauern, ehe ich hier alle kenne. Am späten Nachmittag geht es auf Wohnungssuche. Ich schaue mir ein Zimmer an, das mir auf Anhieb sympathisch ist und entscheide mich, dort einzuziehen. Das kleine Ameisennest am Badezimmerfenster werde ich schon in den Griff bekommen... Es folgen über eine Stunde thailändische Verhandlungskultur mit dem Vemieter per Telefon, während dessen ich mit Fragezeichen in den Augen rumstehe und ab und zu mal die Frage "What's happening?" einwerfe. Eine Antwort erhalte ich aber erst am Ende: Es geht alles klar! Worüber haben sie denn wohl so lange geredet? Den Mietvertrag machen wir irgendwann diese oder nächste Woche:  "Same, same" - kommst du heute nicht, kommst du morgen! Nach dem Einkauf der wichtigsten Haushaltsutensilien beginne ich mich einzurichten und fühle mich wohl, obwohl es alles noch etwas unbelebt wirkt. Aber mit ein paar Bildern an der Wand wird es sicherlich richtig wohnlich werden...Nur an die Geräuschkulisse werde ich mich noch gewöhnen müssen. Am Abend heulen und bellen Hunde, Insekten zirpen und das Wasser rauscht durch die Rohre in der Wand...

Always keep smiling

An den darauffolgenden Tagen bin ich nur unterwegs - vermutlich liegt es auch daran, dass es mir vorkommt als sei ich schon ewig hier. Es geht nun erstmal darum, die Arbeit im Office kennenzulernen, mich zu orientieren und meinen Platz hier zu finden. Am Morgen radle ich also mit dem Fahrrad einer Kollegin durch die Straßen von Mae Sot, immer schön konzentriert auf der linken Seite, vorbei an Suppenküchen, kleinen Shops, Obst- und Gemüseständen, Palmen und Bananensträuchern. Hunde, Mopeds, Lastwagen und viele andere Fahrradfahrer kreuzen meinen Weg zum Office, den ich zum Glück (fast) auf Anhieb finde. Die Kommunikation mit meinen Kollegen und Kolleginnen ist nicht immer einfach, da sich viele nicht trauen Englisch zu sprechen oder es schlicht und einfach nicht können. Irgendwie klappt es aber immer, Hände und Füße sind höchst aktiv dieser Tage und zur Not wird einfach immer fleißig gelächelt. Während ich die eine Hälfte des Tages mit dem Basteln großer Schilder für die Camps und witzigen Hand-Fuß-Gesprächen verbringe, beschäftige ich mich die andere Hälfte mit Nothilfeanträgen von Menschen aus den Camps und erhalte erste Eindrücke darüber, welche Schicksale die Flüchtlinge erfahren. Morgen werden sich diese Schicksale in die Realität umsetzen, wenn ich das erste Mal ins Camp fahre... 

Der Wert der Freiheit

Am Morgen meines dritten Tages in Mae Sot brechen wir schon früh ins größte Flüchtlingscamp Thailands auf: Mae La. Hier leben circa 50 000 Menschen, der Großteil gehört dem Volk der Karen an. Das Camp liegt an einem rund drei Kilometer langen Abschnitt der Straße 105, die entlang der Grenze in den Norden Thailands führt. Nach einer knappen Stunde Fahrt erreichen wir den Kontrollpunkt des thailändischen Militärs, an dem aufgenommen wird, wie viele Personen die Straße passieren. Und schließlich fällt der Blick auf das Lager: Mitten in der grünen Waldlandschaft klammern sich hunderte Hütten an die Berghänge. 
Blick auf Mae La Camp
(Quelle: http://unhcr.or.th/sites/default/files/174690.jpg)
Gemeinsam mit P'Kan, einer Sozialarbeiterin, betrete ich das Camp an einem der kontollierten Eingänge und begegne im Camp-Office von COERR den ersten Flüchtlingen. Sie gehören dem Camp-Staff an und arbeiten als Kinderbeteuer oder Social Worker, managen landwirtschaftliche Kleinprojekte oder beteuen Jugendgruppen. Das Spektrum der COERR-Projekte ist vielfältig. Ich stelle mich der kleinen Gruppe Menschen vor, die mir lächelnd und ein bisschen nervös gegenüber sitzt. P'Kan übersetzt alles in Karen für die, die kein Englisch sprechen. Während sich das Camp-Staff vorstellt, dreht sich das Ganze um: Nun sitze ich lächelnd da und höre fleißig zu, nicke einfach, obwohl ich manche englische Wörter nicht verstehe und die Namen so kompliziert sind, dass ich sie mir eh nicht merken kann. Dennoch fühle ich mich herzlichst begrüßt und freundlich aufgenommen. Einige Zeit später brechen P'Kan, drei Camp-Mitarbeiter und ich auf, um Homevisits zu machen. Dabei werden Menschen besucht, die von COERR und anderen NGOs betreut und unterstützt werden. Es geht über unbefestigte Wege durch enge Gassen vorbei an den Hütten aus Bambus und Blätterdächern immer weiter bergauf. Schon nach kurzer Zeit bin ich nass geschwitzt, denn es ist unglaublich stickig, heiß und feucht. 
Auf dem Weg zu Homevisits...
Viele der Wohnhäuser sind auf Stelzen gebaut und über eine kleine Treppe erreichbar. Überall sitzen Menschen davor, versorgen ihre Kinder, schleppen Wasser von den öffentlichen Brunnen zu ihren Häusern. Im Gegensatz zu Wasseranschlüssen, verfügen einige Häuser im Mae La Camp über einen Stromanschluss, sodass es möglich ist, Handys oder Fernseher zu haben. Über die Jahrzehnte ist eine Infrastruktur entstanden, die die Campbewohner so gut es geht versorgt. So gibt es auch kleine Shops, in denen Obst und Gemüse, einige Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände angeboten werden. Über die Bäche und Flüsse führen Brücken aus einfachen Brettern, von denen man einen Blick auf das verschmutzte Wasser und den weggespülten Müll erhaschen kann. Es ist ein komisches Gefühl als farang durch das Camp zu laufen, ich spüre die Blicke der Menschen um mich herum. In ihren Augen liegt Verwunderung und ein wenig Skepsis, aber die meisten lächeln mir scheu, aber neugierig entgegen und manchmal, wenn auch ganz selten,  trauen sie sich sogar und rufen "Hello, how are you"? oder "Good Afternoon!". Während der Homevisits werden die Schicksale, die gestern nur auf dem Papier existierten, Realität. Wir besuchen eine Familie mit einem schwer behinderten Jungen. Wir betreten das kleine Haus, das wie fast alle anderen auch, aus nur einem Raum besteht. Der Junge sitzt am Ende des Raumes auf dem Boden, er ist 17 Jahre alt und kann weder sprechen noch laufen. Vor dem Haus steht ein alter Rollstuhl, doch auf den unbefestigten Wegen ist dieser so gut wie nicht zu gebrauchen. Seine Mutter sitzt uns gegenüber, sie erzählt, dass mehrmals in der Woche Helfer einer NGO kommen, die ihren Sohn betreuen und seine Muskeln bewegen. Während ich dort auf dem Boden hocke, gibt es diesen einen Moment, in dem mir bewusst wird: "Scheiße, die kommen hier einfach nicht raus". Die meisten Menschen, die hier leben, vertrieben und geflohen aus ihrer Heimat, sind gefangen in ihrem Schicksal, ihnen bleibt keine Wahl, außer das Beste aus ihrem Leben im Camp zu machen, denn in ihre Heimat zurückzukehren ist dieser Zeit noch keine Option. Wie halten sie das aus? Gleichzeitig wird mir klar, welcher Wert hinter Freiheit steckt und dass die meisten von uns diesen Wert nicht zu schätzen wissen. Am Abend winken uns die Soldaten durch den Kontrollpunkt und wir lassen das Camp hinter uns, doch meine Gedanken kreisen weiter um das Erlebte. Heute gehen zu können ist ein Privileg, wiederkehren zu können ist ein Privileg. Ob dieses Privileg irgendwann auch den Flüchtlingen zu Teil sein wird, ist ungewiss. Als ich nach diesem Tag in mein Zimmer zurückkehre, fühle ich mich unglaublich müde. So viele Eindrücke habe ich gewonnen, einige Schicksale erfahren und nun braucht es Zeit, dies zu verarbeiten. Am Montag war meine Ankunft in Mae Sot, aber angekommen bin ich erst jetzt.



Freitag, 24. August 2012

Ab heute ein Farang...


           
"Wir Vier" - Katha, Melli, Martina und ich (von links)
…so nennen die Thais die Fremden, die Weißen. Und seit gestern gehören auch meine Mitreisenden Katha und Melli und ich dazu. Am Dienstagabend geht es nach langer Vorbereitungsphase nun endlich in die Ferne. Vieles lässt man zurück, so manches ist ungewiss – das macht vielleicht ein bisschen Angst, aber es überwiegt doch die Vorfreude, als ich das Flugzeug besteige. Die Abschiedstränen sind schon wieder vergessen, die Gedanken sind eher gefüllt mit Fragen rund um meine Zeit in Thailand – was erwartet mich, wenn ich dieses Flugzeug am anderen Ende der Welt wieder verlasse? Die elf Stunden in der Luft gehen recht schnell rum, auch wenn der Schlaf unruhig und die Beine schwer sind. Ziemlich entspannt betreten wir den Bangkoker Flughafen am Mittwochmittag, machen uns frisch und stellen uns in die lange Schlange am Immigration-Schalter. Mit unserem Visum können wir zum Glück ohne Probleme einreisen und bekommen einen Stempel über 90 Tage in unsere Pässe – danach müssen wir auf Visarun gehen, das heißt kurz aus- und wieder einreisen. Herzlich werden wir kurz danach von zwei Mitarbeitern von COERR, empfangen und in unser zentral gelegenes Hotel gebracht, wo wir auch Martina treffen, eine weitere Misereor-Voluntärin, die schon seit einem Jahr in Thailand lebt. Am Abend haben wir Zeit, uns auszuruhen, lassen uns aber natürlich die Chance nicht nehmen, die quicklebendigen Straßen Bangkoks zu erkunden. 
Mit Sonnenschutz auf dem Weg ins Office

Die laute und quirlige Atmosphäre der Metropole ist mir schon von meiner Asienreise Anfang des Jahres vertraut. Schon damals habe ich Bangkok als ein Fest der Sinne beschrieben: Die Luft ist stets geschwängert aus einer Mischung von Essensgerüchen, Blumen, Obst, Abgasen und Müll, überall rasen Tuktuks, Motorroller und pinke Taxis durch die Gegend und die Straßenränder sind gespickt mit kleinen Ständen, wo man Kleidung, Obst, frische Säfte und fremdartige Gerichte kaufen kann. Bangkok, wo rund 8 Millionen Menschen leben, ist eigentlich eine Wüste aus Beton, die Stadt lebt nur durch die Menschen, die in ihr leben. Es besteht eine eigenartige Mischung aus Tradition und Moderne. Man findet kleine Garküchen und Märkte direkt vor riesigen Hochhäusern und Shoppingmalls und Hütten neben Glaspalästen. Doch das traditionelle Bangkok findet man an immer weniger Ecken, die Moderne ist auf dem Vormarsch, die Bevölkerung Thailands immer mehr eine Konsumgesellschaft. So zumindest hier, in der Metropolregion Bangkok, in der immerhin inzwischen jeder achte Thai lebt. In diesem einzigartigen Flair verbringen wir unseren ersten Abend in Thailand und genießen Som Tam (Papayasalat), frittierte Fischbällchen (wie auch immer sie auf Thai heißen…) mit wunderbare frischen Kräutern und Reis in einer kleinen Garküche. Das erste Wort, das man in Thailand lernen sollte? – mei pèd, nicht scharf. Das kann man bei der Bestellung nicht oft genug wiederholen… 
Bangkok - China Town
Bei einem kühlen thailändischen Chang-Bier lassen wir den Abend in einer Bar ausklingen und fallen totmüde ins Bett. Unseren zweiten Tag verbringen wir im COERR Office, wo wir viel über die Arbeit der Organisation und unsere potenziellen Aufgaben erfahren und viele nette Kollegen kennenlernen, deren Namen wir direkt nachdem sie uns gesagt wurden wieder vergessen, da sie einfach alle gleich klingen. Wir lernen auch, wie man sich begrüßt: Man faltet die Hände, sodass die Fingerspitzen die Nase berühren, verbeugt leicht den Kopf und sagt sà-wàt-di, guten Tag. Die Informationsflut hält bis zum Nachmittag an und wir verlassen das Office mit vielen Eindrücken und erleben anschließend in einem riesigen (riesigen!) Tesco-Supermarkt, Thais im Kaufrausch. Hier gibt es auch viele westliche Lebensmittel, die uns derzeit noch so gar nicht interessieren, vermutlich aber in einem halben Jahr doch unser Interesse wecken werden, wenn uns doch die Sehnsucht nach Käse, Wurst und Schwarzbrot packen wird. In den nächsten Tagen werden wir hier in Bangkok noch die Zeit nutzen, um uns ein wenig darauf einzustellen, was uns erwartet. Denn unser Freiwilligendienst beginnt für uns eigentlich erst nächste Woche, wenn wir an unterschiedlichen Orten unsere Arbeit für COERR aufnehmen werden, die Flüchtlingscamps das erste Mal besuchen, eine Wohnung suchen und Freunde finden werden müssen. Bis dahin bleibt Zeit für das Kennenlernen von COERR, organisatorische Dinge sowie für die Erkundung dieser spannenden Metropole…